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31.08.2012

Herr Emmering….sagen Sie mal

Wie oft finden Gespräche zwischen Tür und Angel statt. Aber heute haben wir, die Mitarbeiter von der Öffentlichkeitsarbeit, uns einfach einmal mehr Zeit genommen.
In unserem Wohnzentrum leben und arbeiten viele Menschen zusammen. Allein ca. 80 Bewohnerinnen und Bewohner leben schon mehr oder weniger lange im Haus.
Wir haben uns mit Manfred Emmering, einem langjährigen Bewohner unterhalten, den auf jeden Fall jeder hier in Krautheim vom Sehen her kennt. Er hat mit seiner Kamera, die auf einem Stativ an seinem Rollstuhl festgemacht ist, eigentlich fast jede Veranstaltung in und um unser Wohnzentrum herum gefilmt.

Herr Emmering Sie haben uns einmal erzählt, dass Sie sich schon früh für einen Medienberuf entschieden haben.
Ja das stimmt, mit 15 Jahren hab ich in der Fotobranche eine kaufmännische Lehre begonnen. Wir verkauften Fotoapparate und Filmkameras damals Super 8, die haben mich besonders interessiert. Wenn wir eine neue Filmkamera verkauften nahmen wir die alte oft in Kommission. Mein Chef hat mir dann erlaubt, die alte zum Filmen mitzunehmen.
Was waren ihre ersten Motive?
Die Rheinüberschwemmung war mein erster Film. Es gibt sogar auch Aufnahmen, auf denen ich noch laufen kann. Dann das Kurhaus in Wiesbaden und eine Flugschau mit Kunstflug mit Ton war dabei, da saß ich aber schon im Rollstuhl.
Wie kam es dazu?
Das war ein Autounfall, ich war Beifahrer, 19 Jahre alt. Mit meinem Bekannten, der unerfahren war überschlugen wir uns und ich war danach sofort gelähmt.
Der Unfall ist ja dann am Anfang ihrer Berufsausbildung passiert.
Ja, ich hatte mich beim ZDF schon beworben, damals wurden Leute gesucht, durch den Unfall war aber diese Laufbahn beendet.
Gab es damals eigentlich schon eine medizinische Rehabilitation, wie man es heute kennt?
In Heidelberg wurde ich behandelt, alles was rauszuholen war, wurde da gemacht. Ein Jahr und sieben Monate war ich da. Ziel war, die Leute erst zu entlassen, wenn sie zu Hause dann selbstständig für sich sorgen konnten.
Ihre Lebensplanung wurde schon als junger Mann, von heute auf morgen zunichte gemacht.
Ich habe nie aufgegeben. Ich bin der Meinung, wenn man eine einigermaßen gesunde Psyche hat, dann packt man das. Manche haben mir gesagt, wenn ich das Schicksal hätte, würde ich nicht leben wollen.
Sie haben mal erzählt, dass sie eine Freundin hatten, wie hat sich diese Beziehung entwickelt?
Ich war realistisch, sie hat mich zwar immer in Heidelberg besucht, aber ich war der Meinung, jeder soll seinen Weg gehen.
1957 wurde ich entlassen, da bin ich dann zu meiner Mutter heimgekommen. Meine Schwester war der Überzeugung, dass ich etwas tun müsste. Da hat sie mir eine Arbeit besorgt, die ich zuhause machen konnte. Das war für mich sehr wichtig, 15
Jahre ging das so. Nach diesen 15 Jahren kam ich hierher.
Von Wiesbaden kamen Sie also ausgerechnet nach Krautheim.
Ja, die HÖR ZU Zeitschrift lag bei uns zuhause rum, da sah ich ein Bild von einem Behinderten, der in Krautheim lebte. Die Einrichtung wurde vorgestellt, ich hab gelesen, dass Behinderte dort Urlaub machen können und dass viele dort schon ganz wohnen.
Kam dann zum ersten Mal die Idee auf, zuhause auszuziehen?
Das Ganze hab ich mir erst mal angeguckt. Enorm war für mich, dass Behinderte den Führerschein gemacht haben und die Möglichkeiten mit der Arbeit.
Erst war ich geschockt, als ich so viele Körperbehinderte auf einmal sah, aber der Wunsch zuhause heraus zu kommen überwog dann doch. Ich hoffte auch, mehr aus mir herausholen zu können, nach dem Motto „jetzt erst recht“.
Dann kam Herr Knoll auf mich persönlich zu und erzählte, dass er eine Druckerei aufmachen möchte, in der ich mitarbeiten könnte.
So kamen also verschiedene Sachen zusammen. Erst mal dass ich den Führerschein machen wollte, dann die Arbeit, auch das Ganze mit dem Sport hat mich sehr motiviert
Im September 1971 zog ich dann hier ein, da hab ich direkt den Führerschein gemacht.
Und dann kam auch Ihr altes Hobby wieder zum Einsatz?
Da war am Anfang gar nicht so viel Zeit. Ich arbeitete ja in der Druckerei und habe Montage gemacht und im Labor die Bilder entwickelt, das wurde alles noch nicht mit dem Computer gemacht. Dieser Beruf war ja für mich Neuland und ein echte Herausforderung, in die ich mich richtig reinknien musste.
Es hat sich also bestätigt, dass es die richtige Entscheidung war.
Die vielen Dinge die ich hier machen konnte, gaben eine innere Aufwertung und Selbstbewusstsein, inzwischen hatte ich den Führerschein, ich bin auch heimgefahren, da war ich ein Mensch wie jeder andere auch. Den Unfall habe ich abgehakt und nur noch nach vorne geblickt.
Sie haben ja auch für die internationalen Sportfeste vom BSK viel organisiert.
1969 wurde die VSG gegründet, da ging es bereits los. Ich war gleich ab 1971 dabei. Die Sportfeste in Krautheim waren damals die größten Sportfeste in ganz Europa.
Ich konnte mich engagieren. Das hätte ich zu Hause nicht gehabt, deshalb hab ich es auch nie bereut, dass ich hierher gegangen bin, dass ich so viele Möglichkeiten hatte, die ich wahrnehmen konnte. Manchmal wenn ich Bekannten gesagt habe, dass ich im Heim bin, haben die zu mir gesagt: “Ach du Armer, du bist im Heim“. Ich hab denen immer gesagt, Leute ihr habt keine Ahnung, ich arbeite wie jeder andere auch. Das liegt aber auch am Haus hier in Krautheim, das war von sich aus schon sehr aufgeschlossen und liberal. Keine so strengen Regeln, dass man dann und dann daheim sein muss. Da hat der Herr Knoll sehr großen Wert draufgelegt, dass die Leute frei leben konnten, z. B. auch mit Freundin.
Unter Heim hat man sich ja damals etwas ganz anderes vorgestellt.
Das waren eigentlich nur Altersheime, hier aber waren auch jüngere Leute und verschiedene Behinderungsarten gemixt. Das System, wie das Heim hier aufgebaut war, das war enorm, das hat damals schon Schlagzeilen gemacht, deshalb war Herr Knoll auch schon über die Grenzen hinaus bekannt. Das war einmalig.
Herr Emmering, haben Sie uns nicht mal erzählt, dass Sie auch verheiratet waren?
Erst hielt ich das gar nicht für möglich, dass man als Rollifahrer eine Freundin kennenlernen würde, die Fußgängerin ist. Dass man dann sogar heiraten würde, wie das bei mir der Fall war, war für damalige Zeiten nicht alltäglich.
Um nochmal auf Ihr Hobby zurückzukommen. Interessant ist sicher auch, dass Sie ja praktisch von der Filmtechnik die ganze Entwicklung bis zur heutigen modernen Filmkamera mitbekommen haben.
Noch zu Hause hab ich mit der Super 8 gearbeitet und hab auch Filme geschnitten und vertont, ich hatte einen Projektor mit Ton. So hab ich auch die Aufnahmen bei den Sportfesten gemacht. Später mit kleineren Digitalkameras. Und ich hatte auch noch diesen Videorecorder zum Schneiden und Vertonen, da gab´s ja die Computer noch nicht.
Mit dem Computer wurde dann alles viel einfacher. Ich hab ja gefilmt, bis zu dem Zeitpunkt, als meine Augen dann schlechter geworden sind, da hab ich dann aufgehört.
Jetzt sind ihre Augen so schlecht geworden, dass Sie gar nicht mehr filmen können?
Ich möchte es trotzdem noch mal probieren, vielleicht mit einem anderen Stativ, mit anderen technischen Voraussetzungen, das wird schwer, ob ich das packe weiß ich noch nicht.
In Ihren Erzählungen fällt auf, dass Sie nach Erlebnissen, die man auch als Schicksalsschläge betrachten kann, immer die Situation für sich analysieren und sich dann wieder einer neuen Aufgabe zugewendet haben. Wo nehmen Sie diesen Rückhalt her?
Das sind irgendwelche Gene von meinen Eltern, meine Schwester ist genauso. Das ist eine Gnade. Z.B. 2006 nach einer Operation, da war ich kaum aus der Klinik raus, da hatte ich dann ich Kopf, das musst du hinkriegen. Und schon wieder hab ich einen Film gedreht.
Wie wir mitbekommen haben, ist Ihre neueste Herausforderung ein Archiv aufzubauen.
Ja ich muss da jetzt ein System hereinbringen, wie ich das Ganze so aufbaue, dass andere mit meinen ganzen Filmen etwas anfangen können.
Ich habe schon alle Weihnachtsfeste und Faschingsfeiern fertig. Jetzt kommen u a. noch die ganzen Sportfeste. Da habe ich ja vom Fernsehen teilweise Ton in meine Produktionen aufgenommen.
Wie ihr seht, die Arbeit geht mir also noch lange nicht aus. Ich finde das sehr positiv, dass alles, was ich in den vergangenen Jahrzehnten festgehalten habe, dann in einer Art Chronik für alle zugänglich ist.

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3 Kommentare

Norman Weyrosta schrieb am 31.08.2012 - 21:58 Uhr

Klasse Interview !


Biggi Gotthardt schrieb am 01.09.2012 - 09:37 Uhr

Ich finde es gut, auch mal Dinge zu erfahren, die man im Ganzen noch nicht so wußte. Gefällt mir.


Andrea Jacob schrieb am 11.09.2012 - 09:14 Uhr

Tol, was aus dem Interview herausgekommen ist.


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