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12.08.2013 Standpunkte

Abenteuer in Rumänien - Reisetagebuch: Fünfter Tag

Wie gesagt, heute wird es sportlich. Nach dem Frühstück und dem Schlussgebet klärte uns Róbert über den Verlauf des Tages auf. Am Vormittag, d. h. ab ca. 10:00 Uhr sollte es Spiele geben, die man auch im Rollstuhl bewältigen konnte. Dabei war Mühlespiel, Schachspiel, Boccia, Memory und ein Geschicklichkeitsspiel mit Ball.
Die Gruppen waren dieselben wie beim Theaterspielen, d. h. Thomas und ich waren in der gelben Gruppe, Anita in der weißen. Uns wurde freigestellt, ob wir an den einzelnen Sportarten, bzw. am ganzen Tag teilnehmen wollten. Zu Bedenken gab es jedoch, dass nicht nur der Sieg, sondern auch die Teilnahme an den Spielen Punkte für die Gruppe geben würde. Also entschied zumindest ich mich, auch wenn ich z. B. Schach überhaupt nicht kann, daran teilzunehmen, damit die Gruppe Punkte bekäme. Zu Beginn irrte ich etwas planlos unter dem Carport herum. Ich wusste nicht genau, wo und bei wem ich mich für welche Sportart anmelden sollte. Irgendwann kam irgendwie doch jemand auf mich zu und fragte ob ich nicht Schachspielen könnte. Er würde sich dann darum kümmern, dass die Punkte aufgeschrieben würden. Also gut, ahnungslos wie ich war spielte ich Schach. Zu meiner Überraschung konnte ich meinem Gegner sogar mehrere Figuren abnehmen. Ich habe zwar verloren, aber das war mir egal, es hat zumindest Spaß gemacht und meine gelbe Gruppe bekam Punkte für meine Teilnahme beim Schach. Als nächstes ging ich einfach mal zum Geschicklichkeitsspiel. Dort saßen zwei Leute rum, die uns dann die Bälle in die Hand gaben und den Spielverlauf betreuten. Hier konnte ich immerhin einen Treffer bei fünf Versuchen versenken. Anschließend fuhr ich wieder etwas ziellos am Carport rum. Irgendwann kam jemand auf mich zu und fragte, ob ich nicht Mühle spielen wollte. Genau wissend, dass ich darin gut bin, willigte ich gerne ein. Ich konnte die Partie auch haushoch gewinnen. Zum Mühlespiel ist noch zu sagen, dass es lange nicht genug Mühlebretter für die vielen Spieler gab. Man behalf sich, indem man einfach die Linien vom Mühlebrett auf ein Blatt Papier zeichnete. Auch diese Idee fand ich riesig. Ich freute mich über meinen Sieg, obwohl es eher ein leichter Gegner war. Beim Bocciaspielen traf ich zufällig auf Anita und wir spielten gegeneinander. Um die Zielkugel war mit Kreide ein Quadrat gezogen und wer seine Kugel darüber hinaus warf, bekam überhaupt keine Punkte. Ich war nicht wirklich gut. Zum Schluss musste ich noch Memory spielen. Hier konnte ich fast gewinnen. Mein Kartenstoß war nicht viel flacher, als der von meinem Mitspieler. Nun hatte ich alle fünf Sportarten, die für den Vormittag geplant waren, absolviert.
Anders als geplant, konnte man schon jetzt beim Paintball-Schießen zusehen. Dies ließ ich mir nicht nehmen. Also stellte ich mich einfach dazu und schaute mir die Sache an. An einer alten Schranke auf dem Gelände waren fünf Plastikflaschen an Schnüre gebunden. Plötzlich kam jemand auf mich zu und fragte, ob ich es nicht auch probieren wolle. Ich nickte, ohne genau zu wissen was da auf mich zukommen würde. Ich wurde an die Ausgangslinie dirigiert. Als ich mich richtig positioniert hatte kam jemand mit dem Paintball Gewehr auf mich zu und wollte es mir in die Hand drücken. Ohne ihn zu verstehen, machte ich ihm klar, dass ich es nicht halten könne. Wortlos deutete er mir an, dass er mir ja helfen könne. Also legte er das Gewehr auf meine Armlehne. Auch mit dem Schießen und Zielen hatte ich so meine Schwierigkeiten. Auch hier half mir mein „Gewehrhalter“. Ich konnte sogar drei Mal von ca. sechs bis zehn Schüssen treffen. Hier freute ich mir ein zweites Loch in den Bauch und war richtig stolz auf mich.
Auf diese Anstrengung wurden wir erst mal mit dem Mittagessen belohnt. Dabei wurde uns eröffnet, dass es abends noch eine Disco geben sollte. Doch jetzt erst mal zum Nachmittag. So etwa ab 15.00 Uhr wurden wir alle zu einem freien Feld gerufen. Hier hatte jeder die Gelegenheit, mit dem Gewehr auf einen in Paintballmontur Herumspringenden zu zielen. Jeder der Teilnehmer hatte richtig viel Spaß. Wir schauten uns gegenseitig zu und bejubelten jeden Treffer.
Um ca. 17:00 Uhr passierte etwas, was passieren musste. Auch an unserem Haus ging die Rampe kaputt. Thomas lief aus dem Haus und stand gerade auf der Rampe, als sie einbrach. Zum Glück konnte er schnell auf der Seite herunterspringen, sodass ihm nichts passierte. Anita, die das beobachtete, rief mich schnell her. Ich sah was passiert war und Thomas bat mich Róbert zu holen, damit er sich um die Reparatur kümmern konnte. Also zischte ich los und suchte unseren Freund für alle Fälle. Als ich Róbert fand, erzählte ich ihm von dem Missgeschick. Er gab mir nur zur Antwort: „OK, ich kümmere mich darum“. Ich machte mir keine Sorgen und stellte mich zu einer neu gewonnenen Freundin um mit ihr ein bisschen zu plaudern. Irgendwann sah ich im Hintergrund, dass drei Männer mit einem Baumstamm auf der Schulter zu unserem Haus liefen. Aus dem Baumstamm wurden kleine Stümpfe gesägt, die unter die Rampe zur Abstützung gestellt wurden. Nach etwa einer halben Stunde kam Róbert zu mir und meinte beiläufig: „alles Ok“. Ich schaute in Richtung unseres Hauses und sah, alles sah aus wie immer, also war ich beruhigt. Ich quatschte noch ein bisschen mit meiner neuen Bekannten und wir warteten auf den Ruf zum Abendessen.
Hier ging alles seinen gewohnten Gang. Róbert machte uns noch einmal auf den bevorstehenden Discoabend aufmerksam. Also warteten wir gespannt bis etwa 21:00 Uhr. Zur Einstimmung erklärte sich ein Teilnehmer bereit, seine Beatboxkünste unter Beweis zu stellen. Es ist echt beeindruckend, wie viele Instrumente man mit ein bisschen Übung nur mit seinem Mund und der Stimme nachmachen kann. Alle waren beeindruckt und klatschten, was die Hände hergaben. Nachdem die Musik zur Disco begann tanzte erst fast niemand. Ich nahm mir ein Herz und ließ meinen Rollstuhl unter dem Carport kreisen. Nach und nach füllte sich die Tanzfläche dann doch. Wir hatten erneut einen schönen Abend. Wieder kamen viele Leute auf mich zu und streckten mir ihre Hand entgegen. Ich wusste ja schon, von der letzten Disco, dass sie mit mir tanzen wollten. Zwischendrin spielte unser DJ Róbert den Song „Limbo Dance“. Kurzerhand holte irgendjemand eine Holzstange, es dauerte nicht lange und die Stange wurde von zwei Leuten so gehalten, dass wir untendurch tanzen, rollen oder sonst irgendwie gehen konnten. Je nach Rollstuhl und Begleitperson wurde die Höhe der Stange gewählt. Nachdem der Song beendet war, entschied Róbert einfach, den Titel noch einmal zu spielen. Irgendwann wurde auch eine Polonaise gestartet. Völlig egal ob im Rollstuhl oder zu Fuß, jeder konnte mitmachen. Der Discoabend nahm also seinen Verlauf. Plötzlich geschah doch noch etwas Unerwartetes. Vier Malteser kamen auf mich zu. Sie schauten zuerst an meinen Rollstuhl, dann an den Rahmen. Ich dachte nur: „Oh Gott, was passiert jetzt.“ Die Vier packten an den Rahmen und bevor ich irgendetwas sagen konnte, war mein Rollstuhl schon in der Luft. Zuerst hatte ich natürlich Angst und Bedenken, denn ich und mein Rollstuhl werden schließlich nicht jeden Tag hochgehoben. Aber irgendwie machte mir dies in dem Moment gar nicht so viel aus. Ich war vergnügt und lachte. Erst nachdem mich die Vier wieder abstellten, wurde mir klar, was gerade los war. In meinem Kopf kam nur der Gedanke: „Die spinnen, die Malteser.“ Ich erzählte Anita, was eben passiert war, doch sie meinte nur ganz trocken: „Ach, das haben die mit mir auch gemacht.“ Jetzt geschah aber nichts Ungewöhnliches mehr und der Abend klang so ganz allmählich aus.
Den ganzen Tag über dachte ich schon an die doch relativ frühe Abreise am nächsten Morgen. Ich ertappte mich bei jedem größeren Ereignis, Frühstück, Vormittagsprogramm und Nachmittag, wie ich dachte: „Das ist jetzt das letzte Frühstück, Vormittagsprogramm und der letzte Nachmittag in Rumänien.“ Irgendwie hatte, zumindest ich, ein komisches Gefühl, das ich mir aber nicht anmerken lassen wollte. Denn den letzten Tag wollte ich noch genießen.

Bis bald Euer Steffen




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