04.08.2015
Busfahrt zur Laga wird Herausforderung
Quelle: Hohenloher Zeitung, 4.8.2015 Redakteurin Juliane Renk
Rollstuhlfahrer testen, wie sie die Strecke zwischen Krautheim und Öhringen mit dem ÖPNV bewältigen
Vier Freundinnen aus Krautheim wollen mit dem Bus zur Landesgartenschau nach Öhringen fahren. Doch das wird zur Herausforderung, wenn sie wie Sandra Ingrisch, Jutta Zitzwitz, Anita Schäfer und Birgit Gotthardt im Rollstuhl sitzen. Statt einfach loszufahren, haben sich die Frauen beim Nahverkehr Hohenlohekreis angemeldet. Nur so können sie fast sicher sein, dass ein Bus mit Rampe zur Haltestelle kommt. Trotzdem gibt es immer wieder Probleme, weil der Platz nicht reicht oder in den straffen Zeitplan nicht eingeplant ist, dass der Busfahrer helfen muss.
„Ich finde es doof, dass wir nur mitfahren können, wenn ein Niederflurbus fährt. Gerade in Krautheim sollten doch grundsätzlich solche Busse fahren“, sagt Sandra Ingrisch. Die 44-Jährige spielt darauf an, dass sich dort, im Eduard-Knoll-Wohnzentrum, mehr als 100 Personen aufhalten, die auf einen Rollstuhl angewiesen sind.
Sandra Ingrisch will wissen, ob sie mit ihren Freundinnen zur Landes¬gartenschau nach Öhringen fahren könnte. „Ich möchte das auch für andere Behinderte ausprobieren. Ich will ein Vorreiter sein und ihnen helfen“, erklärt die 44-Jährige. Angeregt hat die Aktion Kreisrätin Catherine Kern (Grüne). Sie und Bundestagsmitglied Harald Ebner begleiten die Frauen.
„Ich finde es erschreckend, dass so viele Leute am Rand unserer Gesellschaft leben und gar nicht teilnehmen können. Das hat mich ganz arg beschäftigt, sagt Kern.
„Ich wollte sehen, wie weit die Inklusion bei uns tatsächlich ist.“
Es ist kurz nach 10 Uhr, als ein Bus am Steig 6 in Krautheim stoppt. Doch das Fahrzeug hat eine Treppe und keine Rampe. Glücklicherweise ist es nicht der Bus, den Ingrisch und ihre Freundinnen brauchen. Er kommt wenige Minuten später und hat eine Rampe, die Busfahrer Jürgen Stutz für sie herunterklappt.
Allerdings ist der Ausflug für zwei von ihnen schon zu Ende, bevor er angefangen hat. Nur zwei Rollstuhlfahrer passen mit Mühe und Not in den Bus. Eigentlich ist nur einer zu¬lässig, denn sonst ist der Fluchtweg versperrt. Dass der Fahrer den Gästen beim Einsteigen hilft, ist nicht eingeplant. Würde er dies auf seiner Route mehrmals tun, könnte er den Fahrplan nicht einhalten.
Birgit Gotthard (48) ist froh, als sie im Bus sitzt. Doch dann merkt sie, dass alles anders ist, als im Bus des Eduard Knoll Wohnzentrums. Ihr Rollstuhl ist nicht an drei oder vier Punkten angegurtet und sie hat keinen Gurt um. Der Stuhl ist nirgendwo festge¬macht.
„Mir geht ganz schön der Popo ab. Ich habe in den Armen kein Gefühl und ich habe Angst, dass ich oben aus dem Stuhl davon rutsche, wenn der Bus bremst“, sagt Gotthard. In den Kurven verzieht die 48-Jährige ihr Gesicht, weil sie Angst hat. Aber ich hab’ gesagt, ich zieh’ das durch“, erklärt sie tapfer ihrer Begleiterin. Zum Reisen im Rollstuhl gehört Mut.
An einer der nächsten Haltestellen steigt eine Frau mit Trolley ein. Sie kommt nicht an den Roll¬stuhlfahrerinnen vorbei und bleibt vorn im Bus sitzen.
Die Fahrt geht an Belsenberg vorbei. Während die Fahrgäste den Ausblick genießen, sieht gotthardt kaum etwas. Denn just an der Stelle, wo man Rollstühle abstellen kann, ist ein Helikopter auf das Fenster gedruckt. Kurz nach 11 Uhr erreicht der Bus Künzelsau. Sie können jetzt im Anschluss nach Waldenburg und dort den Zug nehmen, oder in rund 20 Minuten mit dem Niederflurbus weiter direkt nach Öhringen. Die Rollstuhlfahrer entscheiden sich für den Bus, denn wer weiß schon, ob sie in den Zug rollen können. Kurz nach 12 Uhr ist für die Freundinnen Endstation am Bahnhof in Öhringen.
Das war eine Weltreise“, sagt Ingrisch. Eine Reise, die eigentlich nur für einen Rollstuhlfahrer allein möglich ist. Catherine Kerns Fazit lautet: „Die Fahrt zeigt, dass wir bei Inklusion noch lange nicht am Ziel sind.“
Auf Rolli-Einkaufsfahrt in der Innenstadt
Friedemann Huber hat Multiple Sklerose und ist deshalb im Rollstuhl unterwegs: Er kennt vorbildliche Rampen und versteckte Fallen
Friedemann Huber sitzt in Öhringen am Bahnhof und wartet. Er wird heute vier Rollifahrerinnen aus Krautheim führen und ihnen zeigen, wo sie essen, einkaufen oder auf die Toiletten gehen können, wenn sie zur Landesgartenschau kommen. Da der 49-Jährige unter Multiple Sklerose leidet, ist er oft in der Innenstadt im Rollstuhl unterwegs und kennt sich bestens aus.
Mit den Toiletten am Bahnhof beginnt die Tour. Er hat einen Schlüssel dafür. Allerdings schafft man es nur mit enormen Aufwand, den Rollstuhl im Griff zu haben und gleichzeitig die Tür aufzuziehen. „Viel einfacher wäre es, wenn die Tür per Knopfdruck elektrisch aufginge“, sagt Huber.
Die nächsten Stationen sind Volksbank und Sparkasse. Allerdings
wird schon der Weg vom Bahnhof in die Bahnhofstraße zu einer Gefahr, denn keiner der Rollifahrer schafft es während der Grünphase der Ampel über die Straße. Glücklicherweise nehmen wenigstens die Autofahrer Rücksicht.
Geld abheben Einwandfrei gelangen die Rollifahrer durch die elektrischen Türen zum Geldautomaten in beiden Banken. Doch hier wird es schwierig, denn für Personen im elektrischen Rollstuhl bieten die Schalterstellen nicht genügend Beinfreiheit, außerdem können sie die Knöpfe des Automaten nicht erreichen. Wer seinen Oberkörper be¬wegen oder sich strecken kann wie Huber, schafft es. Die meisten Rollifahrer nutzen jedoch den Schalter.
Als sie die lange Rampe sehen, die in die Buchhandlung Rau führt, freuen sie sich. „Das ist ein Erfolgserlebnis“, sagt Huber. Jeder der
Gruppe kann in das Geschäft fahren. Am Oberen Tor sieht es anders aus. Das Restaurant Mona Lisa, die Eis¬diele Simonetti und die Bäckerei Härdtner sind nicht zugänglich. Die ersten beiden haben Stufen. Härdtner hat eine Rampe, die ist jedoch zu schmal, meint Huber.
Denkmalschutz Eine Rampe, über die ein elektrischer Rolli fahren kann, hat der Teeladen. In die Hirsch-Apotheke am Marktplatz fährt Huber über einen zweiten Ein-gang, der weiter in Richtung Rat¬haus liegt. „Einen barrierefreien Zugang: Das war schon immer ein Traum von mir. Allerdings ist die Realisierung in Öhringen nicht einfach, weil viele Gebäude denkmalge¬schützt sind und die Eingänge nicht verbreitert werden dürfen “, erklärt die Apothekerin Margit Wüstner-Laukhuff. Enttäuscht ist Huber vom sanierten Kornhaus, Casa del Grano, denn er kommt nicht hinein. Daran sind ebenfalls die Auflagen des Denkmalschutzamtes Schuld, erklärt Inhaber Marco Obermüller. Die Stufen und der Eingang mussten bleiben. Eine Rampe würde keine Vorteile bringen, denn im Innenraum müssen nach beiden Seiten nochmals Stufen überwunden werden, berichtet Obermüller.
Ins Schlosscafe Nussknacker fährt Huber über eine breite Rampe. Das gefällt ihm. Eine Seite der ersten Flügeltür ist offen. Huber schafft es gerade hindurch. Doch die zweite Tür ist verschlossen. Sie ist so schwer zu öffnen, dass es für ihn kaum ohne fremde Hilfe machbar ist. Das findet er schade. Freude macht allen Rollifahrern die Kultura: ein barrierefreies Restaurant mit Toiletten.
2686 Aufrufe