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29.09.2017 Standpunkte

Geschichten aus meinem Leben – Robby erzählt

Es kommt selten vor, dass ein Bewohner in das Büro der Öffentlichkeitsarbeit (zu den Öffis) spaziert und einen bereits geschriebenen Beitrag mitbringt, mit der Bitte, diesen auf der Homepage zu veröffentlichen.
Robby aber meinte, er hätte einfach mal Lust gehabt etwas zu schreiben. Er und noch ein anderer Bewohner sind vor langer Zeit am gleichen Tag nach Krautheim ins Wohnzentrum gezogen und jetzt sind die beiden, schon 48 Jahre hier.

Robby sind die folgenden Gedanken schon lange im Kopf herumgeschwirrt und er meinte: „Jetzt möchte ich sie mit euch teilen“.
Mit 23 Jahren bin ich am 8. Oktober 1969 in Krautheim angekommen. Ich muss allerdings sagen, dass mir dabei ganz schön die Düse ging, zumal leider mein damals erster Elektro-Rollstuhl nicht rechtzeitig geliefert wurde. So musste ich mich also erst mit meinem Schieberolli behelfen, was für mich recht mühsam war.
Dann endlich, wenige Wochen später, kam mein erster heiß geliebter E-Stuhl. Nach wenigen Tagen betrachtete ich mir damit schon das idyllische Krautheim, das von der romantischen Jagst gekennzeichnet wird. Das gefiel mir schon mal, da ich Gottes freie Natur über alles liebe. Irgendwie wollte es mir aber nicht gelingen, echt heimisch zu werden, weil ich wohl zu oft an mein schönes Zuhause dachte.
Kaum zu glauben, damals hatten wir im Wohnzentrum noch viele Gäste und eine Kneipe, die „Alte Mühle“. Oft ließ ich mir abends dort ein halbes Hähnchen schmecken und natürlich durften dazu ein oder zwei Biere nicht fehlen.
Im zweiten Sommer, meiner Krautheimer Zeit organisierte Eduard Knoll persönlich eine Reise nach Holland. Mit einer kleinen Gruppe von Behinderten fuhren wir zusammen mit ihm in einem etwas klapprigen VW Bulli in die holländische Region Zeeland. Dort verleben wir viele schöne Tage. Und danach besuchte ich noch meine Eltern im schönen Oberösterreich, wo ich noch mehrere erholsame Wochen verbrachte.
Ein Jahr später erlebte ich einen weiteren Meilenstein. Mit Norman Weyrosta unserem heutigen Geschäftsführer, der damals noch Zivi war, und einem gemeinsamen Freund, reisten wir mit einem 2 CV nach Schärding, einer Grenzstadt zu Österreich. Dort wurden wir, bzw. unser Auto ganz schön in die Mangel genommen. Wir wurden gefilzt, der Kofferraum wurde gründlich durchsucht, und tatsächlich fanden die Beamten etwas. Ein schimmliges Brot, das von den Beamten aber nicht eindeutig als Brot angesehen wurde. Die Reise nahm aber noch ein gutes Ende, denn mein Vater löste uns an der Grenze aus.
Im Laufe meines Lebens kamen noch etliche Meilensteine dazu. Zum Beispiel die Reise mit dem Flugzeug nach Tunesien nach Hammamet und dem vergessenen Koffer, der in Krautheim unter einem Tisch stehen blieb. Was blieb mir also anderes übrig, als mich als  Araber zu kleiden.
Viele amüsante Erlebnisse hatte ich damals, wenn ich so zurückdenke. Es versteht sich von selbst, dass ich hier nur einen kleinen Ausschnitt aus meinem Leben im Eduard Knoll Wohnzentrum wiedergegeben habe.
Eines steht allerdings für mich fest. Auch wenn ich viele Höhen und Tiefen erlebt habe, würde ich mich immer wieder für Krautheim und diese Einrichtung entscheiden.
Euer Robby

 Als Robby mit seiner Geschichte bei uns in der Abteilung Öffentlichkeitsarbeit vorbeischaute, kamen wir natürlich mit ihm  in´s Gespräch. So erfuhren wir von Robby bei dieser Gelegenheit etwas über seine Kindheit und darüber, wie man mit Menschen mit Behinderung früher umging. Da wollten wir doch einmal etwas genauer nachfragen.

Öffis: Robby, du hast angedeutet, dass du als Kind mit Behinderung gar keinen Rollstuhl hattest.
Robby: Mein Onkel hat mir damals als ich vier Jahre alt war einen Kinderwagen aus Gusseisen einigermaßen behindertengerecht zusammengebaut. Mit dem fuhr mich meine Mutter bis etwa zum 9. Lebensjahr draußen herum. Das heißt, ich wurde nie versteckt, wie es eigentlich damals üblich war.
Öffis: Haben dich deine Eltern auch so in eine Schule gebracht?
Robby: Meine Mutter war schon immer auf der Suche nach einer Schule für mich, die aber in Österreich nicht zu finden war.
Öffis: Wollte man damals kein Kind mit Behinderung in der Schule haben oder lag es mehr an nicht barrierefreien Räumlichkeiten?
Robby: An Inklusion war zur damaligen Zeit nicht im Traum zu denken. In Österreich gab es nur Schulen für geistig behinderte Kinder, aber da wollte meine Mutter mich nicht hinschickten, da sie mich nicht als geistig behindert einschätzte. Also suchten wir in Deutschland nach einer Behinderteneinrichtung mit Schule. In Ludwigsburg in Baden-Württemberg wurden wir letztendlich fündig. Demzufolge zog meine Familie mit mir und meiner älteren Schwester nach Ludwigsburg.
Öffis: Das heißt du konntest praktisch zuhause wohnen und bist dort in eine Schule gegangen?
Robby: Meine Mutter hat mich zwei Jahre zu Fuß in die Schule gebracht. Es war für mich sehr mühsam, schreiben zu lernen, weil am Anfang meine rechte Hand sehr steif war. Damals war es üblich, dass mehrere Klassen in einem Raum waren, bei uns waren sogar zeitweise 8 Klassen in einem Raum. Im Lesen war ich ziemlich gut, was zur Folge hatte, dass ich noch anderen Schülern das Lesen beibringen durfte.
Zum Ende meiner Schulzeit wurde ich dann als Internatsschüler aufgenommen und bin am Wochenende immer daheim gewesen.
Öffis: Der selbstgebaute Kinderwagen war ja irgendwann einmal zu klein. Was haben sich deine Eltern dann einfallen lassen?
Robby: Sie haben einen Liegestuhl aus Leinen und Holz gekauft und daran vier Räder geschraubt. So ungefähr von 8 bis 11 Jahre habe ich diesen Stuhl benutzt. Das Kuriose war, dass er sich manchmal während der Fahrt zusammengeklappt hat.
Öffis: Möchtest du noch davon berichten, wie es beruflich bei dir weiterging?
Robby: Als meine Schulbildung mit der 8. Klasse abgeschlossen war, habe ich eine zweijährige kaufmännische Ausbildung gemacht, was mir viel Spaß gemacht hat. Leider bekam ich durch meine Behinderung keinen Job, so dass ich 5 Jahre untätig daheim herumsaß und mich nur mit Lesen und Briefeschreiben beschäftigen konnte. Meine Eltern hatten mir nach der Ausbildung eine Schreibmaschine geschenkt, so musste ich nicht alles mit der Hand schreiben.
Öffis: Fünf Jahre sind eine lange Zeit. Hast du auch noch andere Beschäftigungen gefunden?
Robby: Am Wochenende ging meine Mutter mit mir oft ins Kino, so dass ich fast alle amerikanischen und deutschen Schauspieler gut kannte.
Öffis: Wie bist du dann nach diesen 5 Jahren in Krautheim gelandet?
Robby: Durch einen befreundeten Krankenpfleger kam ich hierher. 1968 zu Silvester ist er mit mir nach Krautheim gefahren und so lernte ich diese Einrichtung kennen.
Öffis: Du hast ja dann den Schritt weg von deiner Familie in die Selbstständigkeit gemacht. Was gab dir dazu den Mut?
Robby: Ein Gedanke von mir war, dass sich meine Mutter durch mich und die Pflege zuhause recht eingeengt fühlen musste. Ich wollte ihr wieder mehr Freiheit schenken. Das erleichterte mir den Schritt, mich für Krautheim zu entscheiden.
Was mir im Rückblick wichtig erscheint ist, dass es für Menschen mit Behinderung enorm wichtig ist, eine Ausbildung zu haben, beziehungsweise lesen und schreiben zu können. Ich könnte mir ein Leben ohne diese Dinge nicht vorstellen.
Öffis: Wir danken dir Robby, dass du dir für die vielen Fragen Zeit genommen hast und uns dadurch einen Einblick in dein Leben gegeben hast.


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2 Kommentare

R. L. schrieb am 30.09.2017 - 16:49 Uhr

Hallo Robby, schön dass Du ein bisschen aus Deiner Kindheit erzählt hast. Das mit dem zusammengeschusterten fahrbaren Rolli-Ersatz hat mich schwer beeindruckt. Was waren das noch für schwierige Zeiten für Behinderte! Mann mag sich das heute nicht mehr vorstellen. Wir haben Dich 1970 in Krautheim kennengelernt. Von der "Alten Mühle" und dem damaligen Personal sind uns keine guten Erinnerungen geblieben. Zehn Jahre später haben wir noch einmal einen Urlaub im EKW verbracht. Diesmal wohnten wir oben in einem dieser Bungalows. Wir haben mit Dir lustige, unterhaltsame, feuchtfröhliche Abende verbracht. Am Tage standen Ausflüge und Spaziergänge an die Jagst auf dem Programm. Du warst immer dabei. Es gibt noch ein Foto, wo unsere Tochter bei Dir auf dem Schoß sitzt. Lang, lang ist das her. Später haben wir uns aus den Augen verloren. Vor ein paar Jahren gingen ein paar Mails hin und her. Ich stelle aber fest, Du bist schreibfaul geworden. Vielleicht bekommst Du ja jetzt wieder Lust zu Schreiben. Grüße von Rosw.


Andrea Jacob schrieb am 04.10.2017 - 09:51 Uhr

Sehr schöner Bericht, Robby! Danke für den Einblick in dein Leben... Zur Nachahmung empfohlen!


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